Alpenüberquerung mal anders - Copyright: Jochen Wilde

Der Traumpfad München-Venedig oder die Route von Oberstdorf nach Meran sind bekannte Klassiker für eine Alpenüberquerung – und entsprechend stark frequentiert. Jochen Wilde von Wilde Alpentouren hat sich für eine andere, weniger begangene Route entschieden. In sieben Tagen ging es in der Gruppe vom Bodensee zum Lago Maggiore. Hier teilt der Bergwanderführer aus dem Allgäu seine Erlebnisse bei der „Schweizer Alpenüberquerung“ mit uns.

Alpenüberquerung mal anders - Copyright: Jochen Wilde

Alpenüberquerung mal anders – Copyright: Jochen Wilde

Ein Gastbeitrag von Jochen Wilde

Quick-Infos zur Alpenüberquerung Bodensee-Lago Maggiore

  • Etappen und Übernachtungen:
  • Tag 1: Durch das Alpsteinmassiv auf die Zwinglipasshütte
  • Tag 2: Von der Zwinglipasshütte zum Walensee
  • Tag 3: Vom Walensee zur Kistenpasshütte
  • Tag 4: Abstieg zur Ruinaulta (Rheinschlucht) und über den Gletscher zur Cavardirashütte
  • Tag 5: Mit der Matterhorn Gotthardbahn zum Oberalppass und zur Rheinquelle
  • Tag 6: Von der Maighelshütte ins Tessin
  • Tag 7: Von den Bergen des Tessin zum Lago Maggiore
  • Strecke: 99 km
  • Höhenmeter: ca. +5.350 / -6.600

Über die Alpen und ab nach Süden!

Endlich ist es so weit: Der Sommer ist da und der Süden lockt. Wir wollen abseits der Massen bis zur Alpensüdseite wandern und haben uns die Tour vom Bodensee zum Lago Maggiore ausgesucht. Unsere alternative Alpenüberquerung startet in Frümsen im Kanton St. Gallen, Endpunkt Locarno im Kanton Tessin. Beide Orte sind hervorragend mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen und auch zwischendurch werden wir diese immer wieder nutzen.

Tag 1: Brot und Bier auf der Zwinglipasshütte

Los geht die alternative Alpenüberquerung mit der Bahn hinauf ins Alpsteinmassiv. Doch bevor wir in die Bahn einsteigen, müssen wir noch die mitgebrachten Brote in unseren Rucksack packen. Auf der Zwinglipasshütte gibt es nämlich nur fast alles, was wir für eine Übernachtung brauchen. Das Brot für das Frühstück am nächsten Tag nämlich nicht. Und so haben wir für acht Personen insgesamt zwei Brote dabei, die wir auf vier Rucksäcke verteilen. Oben angekommen wandern wir über den wunderschönen Höhenzug mit Blick zurück über den Bodensee und die Allgäuer und Lechtaler Alpen.

Aber auch der Tödi mit seinen 3.614 m lässt sich blicken. Unter uns liegt der fjordartige Fälensee. Wir können uns als Gruppen nicht entscheiden, ob wir gemeinsam zum See hinunterlaufen oder weiter auf dem Grat bleiben und so trennt sich unsere Gruppe. Am Zwinglipass treffen wir wieder aufeinander und laufen die restlichen Meter zur kleinen und gemütlichen Zwinglipasshütte. Alle sind von ihrer jeweiligen Variante begeistert. Wir tauschen die Bilder aus und die zwei fittesten Wanderer beschließen tatsächlich noch zum See zu laufen. Am Ende haben sie ihn nicht erreicht, weil es zu spät war. Aber ihr Entschluss steht fest: Sie kommen wieder.

Den Abend lassen wir auf der kleinen Hütte gemütlich ausklingen. Vom Sockel gehauen haben uns die Preise. Für ca. 50 Schweizer Franken gibt es die Übernachtung inkl. Halbpension. Wir sind in der Schweiz – da sind viele Hütten in den Ostalpen teurer. Nach dem ein oder anderen Bier ging es ins kuschelige und recht neue Lager mit seinen acht Plätzen.

Tag 2: Am Walensee hellen sich Wetter und Laune auf

Nach einer ruhigen Nacht wandern wir in ca. zwei Stunden auf dem gut markierten Weg zunächst hinunter nach Wildhaus. Ein bisschen traurig sind wir, dass wir weder gestern Abend noch heute Morgen Steinböcke gesehen haben. Wir trotten ein wenig vor uns hin, weil das Wetter nicht gerade zum Freudentaumel einlädt. Die Sonne lässt sich wohl noch etwas Zeit und so können wir die Churfirsten nur erahnen.

In Wildhaus angekommen, nehmen wir den Bus und wandern unter den mächtigen Churfirsten, die sich immer mehr blicken lassen, hinüber zum Walensee. Die uns direkt umgebende Landschaft ist lieblicher als am gestrigen Tag. Doch das ändert sich urplötzlich. Am Vorder Höhi angekommen liegt der Walensee direkt unter uns. Uns trennen auf wenigen Kilometern mehr als 1.000 Höhenmeter. Noch können wir ihn nicht sehen, deshalb steigen wir noch auf den Gulmen.

Das Wetter zeigt sich im Süden nun von seiner freundlichen Seite und so schauen wir über den Walensee hinweg nach Südwesten bis zum 4.042 m hohen Lauteraarhorn. Die Laune steigt enorm und es wird noch besser, denn im Hotel Arbenbühl können wir den Abend in vollen Zügen bei einem leckeren 4-Gänge-Menü genießen.

Tag 3: Herzlichkeit und hervorragendes Essen auf der Kistenpasshütte

Alternative Alpenüberquerung vom Bodensee zum Lago Maggiore, dritter Tag: Am Morgen fahren wir ein Stück mit dem Bus und überbrücken im Anschluss über tausend Höhenmeter mit der Seilbahn – für uns ungewöhnlich: in Selbstbedienung. Durch eine wilde Hochgebirgslandschaft geht es zwischen Muttsee und Limmerensee nach Süden. Viele der umliegenden Berge überragen deutlich die 3.000er-Marke. Die Wege sind recht schmal und schottrig, aber für uns alle gut machbar. Nur wenige Kilometer entfernt erhebt sich der Töde mit seinem aufgrund des gestrigen Schneefalls gezuckerten Haupt: Eine Aussicht sondersgleichen.

Das heutige Erlebnis des Tages ist jedoch nicht die uns umgebende Landschaft, sondern die liebevoll geführte, extrem kleine Kistenpasshütte. 14 Personen können hier übernachten. Im Gegensatz zu den oft übervollen bekannten Regionen begegnet uns hier eine Herzlichkeit, die man sonst vergebens sucht. Und so rücken heute die alpinen Eindrücke des Tages deutlich in den Hintergrund.

Wir sitzen am Abend mit der Wirtin zusammen am Tisch, überwinden die Sprachbarrieren, freuen und wundern uns über das gute Essen hier oben. Da die Tour im Vergleich zu gestern eher kurz war, geht es heute erst gegen 22 Uhr ins Bett. Nicht wissend, was uns am nächsten Tag erwartet.

Tag 4: Spannende Wege im Schmuddelwetter

Der Morgen beginnt so herzlich wie er gestern geendet hat. Doch das Wetter spielt heute gar nicht mit. Die Wolken hängen tief und es regnet leicht. Nichtsdestotrotz brechen wir um 7:30 Uhr auf und wandern unserem ersten Ziel entgegen. Bald haben wir den Kistenpass erreicht und wandern hinunter zu Alp Quader. Bis hierhin sehen wir nichts von der Landschaft, die wir uns dennoch traumhaft ausmalen.

Mit einem kurzen Transfer geht es hinunter zu Rhätischen Bahn, mit der wir dann– typisch für die Schweiz – pünktlich bis nach Acla da Fontauna fahren. Dort hält der Zug witzigerweise nur auf Verlangen. Mit der Caischavedra Bahn überbücken wir die ersten 600 Höhenmeter.

Zunächst geht es auf gut ausgebautem und markiertem Weg bis auf etwa 2.200 m. Plötzlich ist die Markierung nicht mehr rot-weiß, sondern blau-weiß. Des Rätsels Lösung: Blau-weiß werden in den Schweizer Alpen die anspruchsvollen Wege markiert. Ab hier ist also nicht mehr zwingend ein Weg vorhanden oder es kann sich um einfache Gletschertraversen handeln. Wir sind gespannt, was uns erwartet, und denken uns: Gut, dass das Wetter so schlecht ist. Dann können wir die Gefahren auch nicht erkennen. Ganz so war es dann doch nicht. Die Markierungen waren mehr als ausreichend und viel anspruchsvoller als vorher ging es auch nicht zu. Die kurze Traverse auf dem markierten Gletscher hat uns zum Schluss schon gar nichts mehr anhaben können.

Auf der 2.649 m hohen Cavardirashütte angekommen, sind wir dennoch froh, den Tag bei diesem Schmuddelwetter hinter uns gebracht zu haben. Der Wetterbericht ist zwar nicht berauschend, stellt aber ab morgen Besserung in Aussicht. Am Abend sitzen wir dann bei einem schmackhaften Mehrgangmenü rund um den Tisch und sind auf der einen Seite etwas traurig, weil die Hälfte der Woche schon rum ist. Auf der anderen Seite freuen wir uns, dass das Wetter wieder besser werden soll.

Tag 5: Wir seh‘n den Sternenhimmel

Heute wartet der Kanton Uri auf uns. Noch immer hängen die Wolken tief, aber es regnet nicht. Das ist schon mal ein Lichtblick. Hinunter geht es wieder auf rot-weiß markiertem Weg an der Hiterbalmhütte vorbei bis zur Alp Guferen. Zu sehen gibt es nach wie vor nicht viel, dafür jedoch viel zu erahnen. Unsere Fantasie malt sich die schönsten Berge aus und die Stimmung hebt sich trotz des Wetters deutlich – auch weil wir in Göschenen in die Matterhorn Gotthard Bahn umsteigen. Als wir in den Zug einsteigen, lockern die Wolken so langsam auf und wir hoffen auf eine schöne Wanderung zur Rheinquelle und zur Maighelshütte. So wird es dann auch – Sonne und Wolken wechseln sich ab.

Der Rhein speist sich aus Vorder- und Hinterrhein. Der Tomasee bzw. der Lai da Tuma gilt als Quelle des Vorderheins. Bis zum See ist heute deutlich mehr los als in den letzten Tagen. Auf dem Weiterweg zur Hütte sind wir allerdings wie gewohnt mehr oder weniger allein unterwegs. Am Abend genießen wir nach dem leckeren Essen noch das Spiel der Wolken und den Sternenhimmel. Weitab der Lichter des Tales sehen wir zum dritten Mal die Milchstraße, wie es uns im Alltag schlicht nicht möglich ist.

Tag 6: Südliches Flair und Schwefelwasser

Nach dem guten Frühstück ruft schon ruckzuck das Tessin. Nach ca. zwei Stunden Marsch liegt am Passo Bornengo der südlichste Kanton der Schweiz vor uns. Der Weg bis dahin verläuft zunächst gemütlich und breit durch das Tal. Erst kurz vor dem Pass wird er deutlich schroffer.

An der Capanna Cadlimo legen wir eine kurze Pause ein und genießen dort die schon italienisch anmutende Küche. Bemerkenswert sind die vielen Seen in dieser Region – es sind an diesem Tag über zehn Seen, die wir in unmittelbarer Nähe passieren. Gerade der Lago di Cadagno hat es in sich. In seinen Tiefen ist ein höheres Leben unmöglich. Schwefelhaltiges Wasser steigt aus unterirdischen Quellen auf und ist für Fische absolut tödlich. Nur einige archaische Bakterien fühlen sich hier wohl.

Sei‘s drum, wir spüren schon das südliche Flair, genießen das angenehme Klima und erfreuen uns wie jeden Abend am Essen und der guten Hüttenatmosphäre. Am Abend lockt uns dann schließlich noch die langsam untergehende Sonne hinaus und wir schlendern in wenigen Minuten nochmals hinunter zum See.

Tag 7: Sanfte Wege im Tessiner Grün

Eine der steilsten Standseilbahnen der Welt steht heute auf dem Programm. Satte 87,8 % Neigung überwindet die Bahn am Lago Ritom, als sie uns hinunter in die Leventina bringt. Es folgen eine kurze Busfahrt und eine Fahrt mit der Kabinenbahn zum Lago Tremorgio. Auf den letzten Kilometern erleben wir dann die typischen Landschaften des Tessins. Je nach Route kommen wir an künstlich angelegten Wasserläufen vorbei, die der Wasserversorgung einzelner Parzellen dienen. Grüne, sanfte Wege geleiten uns zu unserem letzten Wanderziel.

In Fusio angekommen, warten wir in einem Café noch auf den Bus, der uns hinunter nach Locarno bringt. Das Ende unserer ganz besonderen alternativen Alpenüberquerung steht kurz bevor. Zufrieden und glücklich treten wir am nächsten Tag mit den Schweizer Bahnen inklusive Gotthard Basis Tunnel die Rückfahrt an.

Alternative Alpenüberquerung – Fazit

Trotz des teilweise schlechten Wetters und nasser Klamotten war diese alternative Alpenüberquerung ein wundervolles Erlebnis. Die teilweise sehr einsamen Wege, die Freundlichkeit der Wirtsleute und die Hütten haben sich tief in unser Gedächtnis eingebrannt. Obwohl der Komfort der Hütten, die teilweise über keine Duschen verfügen, im Vergleich zu den Ostalpen deutlich geringer ausfällt, war diese Alpenüberquerung für uns die bisher beste unsere alpinen Wanderwochen.

Selbst teilnehmen?

Das Team von Wilde Alpentouren berät gerne zu Alpenüberquerungen und anderen Wandertouren. Alle Touren sind individuell gestaltet und von Jochens Team zusammengestellt. Die dargestellten Touren machen mit viel Liebe zum Detail Lust auf mehr. Unter https://www.wilde-alpentouren.de/programm/wandern/alpenueberquerung ist das ganze Programm zu sehen.

Alle Fotos: Jochen Wilde