Vor der Hitze flüchtet man am besten in die Höhe – irgend eine Ausrede braucht man ja!
Wir sind gleich ganz hoch hinauf und -lange ersehnt- dem Großvenediger auf’s Haupt gestiegen. Aufgrund eines Buchungsfehlers (Bergführer haben es halt nicht so mit Büroarbeit) wurde dann statt der einfachen Venediger-Begehung die ganze „Venediger-Krone“ mit insgesamt fünf 3000ern draus. Aber es gibt ja Fälle, da ist man sowas von flexibel! 🙂
Dass sie am Samstag (27.7.) extra für uns die seit zwei Monaten gesperrte Felbertauern-Straße wiedereröffnet haben, fanden wir sehr rücksichtsvoll. Dank günstiger Verkehrslage blieb nach Ankunft im Virgental noch genügend Zeit, den bekannten Umbal-Wasserfällen einen Besuch abzustatten, bevor uns das „Venediger-Taxi“ die 800Hm und 10km von Hinterbichl zur Johannishütte hinaufchauffierte. Nicht schwindelfreie oder nervöse Beifahrer sollten dabei nicht am Fenster sitzen…
Von der hübschen Johannishütte geht es dann auf einfachen Bergwegen über 850Hm zum Defreggen-Haus. Dass eine Hütte auf knapp 3000m Höhe kein Wellness-Hotel ist, dürfte klar sein; sie ist u.E. aber gut geführt, sauber und Wirtin und Personal sind sehr freundlich. Dass es nur zwei Gerichte zur Auswahl gibt – ja mei! Die sind aber gut und reichlich und wer brav war, kriegt auch einen Schoko-Pudding hinterher!
Am nächsten Tag so um 6:30 geht’s los: bereits um diese Uhrzeit reicht bei der derzeitigen Hitzewelle ein dünnes Pulloverl. In wenigen Minuten gelangt man über ein kleines Steiglein zum Anseilpunkt, wir werden zu zwei Seilschaften in Maximalstärke (8 Leute) zusammengeschnürt. Zuerst flach, dann in angenehmer Steigung steigen wir auf guter Spur über das Rainerkees zum „Verkehrsknotenpunkt Rainertörl“. Dass die meisten der durchaus ernst zu nehmenden Spalten noch verdeckt und größtenteils auch tragfähig sind, schont die Nerven sehr.
Das Pulloverl hat man jetzt spätesten jetzt auch schon abgeworfen und in wenigen Minuten erreicht man vom „Rainertörl“ den ersten Gipfel der „Krone“, das hohe Aderl, über leichtes Blockwerk. Dann ist der Hauptgipfel des Venediger dran: bis zum Vorgipfel ist das eine recht einfache Angelegenheit (moderates, nicht exponiertes Gelände, gute Spur, tragfähige Spaltenabdeckung).
Der Übergang zum Kreuz ist genauso kurz wie heikel: entweder man balanciert über den scharfen Grat (es passen gerade so zwei Füße nebeneinander auf’s sulzige Eis) oder man umgeht das Ganze über einen einfachen Blockgrat. Um zu letzterem zu kommen, muss man aber auch eine recht luftige Querung überstehen….
Und dann sind sie da: die „unverbaubare“ Aussicht nach allen Seiten und das Gefühl, dass einem heute die ganze Bergwelt „gehört“! Auch wenn von der Kürsinger und Prager Hütte stets neue Seilschaften eintreffen: der Andrang hält sich in Grenzen und mindert den Genuss nicht.
Warum sollte man nach dem höchsten Berg der ganzen Gruppe nun noch drei weitere Gipfel ersteigen? Weil sie da sind? Nein, Schmarrn, weil jeder von ihnen nochmal eine neue Perspektive und neue Einblicke bringt. Und weil sie wirklich gut zu kombinieren sind.
Also steigen wir nach dem Venediger noch dem Rainerhorn aufs markante Haupt, der anschließende Gratgang zur Schwarzen Wand erlaubt sehr eindrückliche (um nicht zu sagen „gruselige“) Einblicke in den Spaltenverhau des Schlatenkees, diverse schauerliche Randklüfte und den dekorativen Hängegletscher der Kristallwand. Der Hohe Zaun bildet den letzten „Zacken“ der „Venedigerkrone“, bevor man über das Äußerer Mullwitzkees zurückkehrt zum Defreggen-Haus. Der Abstieg zur Johannishütte fällt dann etwas schwer, weil die Knochen müde und das Hirn noch beim Verarbeiten der Eindrücke ist…
Wem es vergönnt ist, so eine Tour bei solchen Verhältnissen machen zu dürfen, ist ein Glückspilz. Wir zum Beispiel.
Details + Fotos siehe https://www.steinundkraut.de/bergtour-Grossvenediger.html